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Hauskröten und Schlangenkönige, Geldscheisser und Wetterfrösche

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Von Regula Odermatt-Bürgi, Oberdorf (NW)
 
Kröten und Schlangen, seltener Frösche, Echsen und Molche bevölkern die Sagenwelt. Ihre Bedeutung ist ambivalent. Auf der einen Seite bringen sie Glück und Reichtum und es wäre verheerend, sie zu töten. Andererseits werden sie dem Bösen, den Hexen, zugeordnet und müssen vernichtet werden. Im Prättigau (GR) darf man Hauskröten nicht weg jagen, weil das Glück an ihnen klebt, im Kanton Bern dagegen gilt es als schlechtes Omen, wenn eine Kröte auf der Schwelle sitzt, aber man darf sie aus Furcht vor noch grösserem Unglück nicht verscheuchen.
 
Schon die Römer hielten in ihren Häusern Nattern als Verkörperung der Familiengötter. Möglicherweise lässt sich eine ganze Gruppe von Sagen auf diese Vorstellung der Schlange als Schutzgeist des Hauswesens zurückführen, dem auch Nahrungsmittel geopfert werden. In der ganzen Schweiz erzählt man – mit gewissen Varianten – die Geschichte, wie ein kleines Mädchen seine Milchbrocken jeweils im Freien ass. Die Mutter beobachtete heimlich ihr Kind und sah, wie eine grosse Schlange zur Tasse kroch, das Mädchen ihr mit dem Löffelchen sachte auf den Kopf schlug und tadelnd sagte: „Du musst auch die Brocken essen, nicht nur die Milch trinken“. In Bosco Gurin (TI) ersetzt Polenta das Brot. Oft trägt diese Schlange ein Krönlein, das sie aus Dankbarkeit für die gespendete Milch dem Urner Geissbub am Ende der Alpzeit zu Füssen legt oder der Magd aus dem bernischen Bützberg beim Hochzeitsmahl überreicht.
 
Hartnäckig hält sich der Volksglaube, dass Schlangen Milch lieben und den Kühen am Euter saugen. Unzählige Bauernhöfe und Alpen sind von der Plage betroffen, der Schaden ist unermesslich. Natürlich gibt es Mittel dagegen. Im Luzernischen etwa heisst es, ein weisser Hahn schaffe Abhilfe. Sicherer ist es jedoch, einen Schlangenbanner zu berufen, meistens einen Kapuziner, der die Schädlinge durch Gebete und Segnungen vertreibt. Oft sind es auch fahrende Schüler oder „Venediger“, die auf einer Pfeife spielend das Gewürm wegführen, in ein Tobel versenken oder in einen Kreis locken, den sie mit einer Haselrute auf den Boden gezeichnet hatten, um es anschliessend zu vernichten. Die Sache ist nicht ungefährlich und endet oft tödlich, denn häufig erklärt sich der Banner zur magischen Handlung nur bereit, wenn die Leute ihm garantieren, dass nie eine weisse Schlange oder ein Schlangenkönig in der Gegend gesichtet wurde – doch dann, wenn die Beschwörung beinahe abgeschlossen ist und fast alle Schlangen tot sind, braust die gefürchtete weisse Schlange heran und zerfetzt ihren Widersacher.
 
Schlangen, die schnell wie ein Pfeil durch die Lüfte sausen und die Menschen attackieren, hiessen schon im Mittelalter „Geschoss-Schlangen“. Nur wenn man Glück hat, zerschellen sie an der zugeschlagenen Türe, an der Hauswand, am Brunnentrog, in dem man sich eiligst versteckt, oder verletzen sich tödlich an einer aufgerichteten Sense. In einigen Sagen aus Uri, Flums und dem Vallée de Bagnes (VS) retten Eidechsen den unschuldigen Menschen. Bevor sich nämlich die Schiessschlange in die Luft erhebt, um einen im Freien Schlafenden zu töten, legt sie ihm ein Blatt auf das Herz, um jene Körperstelle zu markieren, der ihr tödlicher Angriff gilt. Eine Eidechse aber weckt den Schläfer oder verschiebt das Blatt auf einen Stein, an dem das Untier dann zerschmettert. Die Vorstellung der blitzschnell heransausenden Schlange hat sich wohl im Sinne der smypathetischen Magie auf den Schiesszauber ausgewirkt. Um die Treffsicherheit zu erhöhen, so ergab eine Umfrage unter Schweizer Wehrmännern im Ersten Weltkrieg, nimmt man in der Westschweiz alle Zähne einer Schlange und befestigt einen davon am Gewehrlauf (Korn?**), die anderen unter den rechten Arm. Man kann jedoch auch einer Schlange den Kopf abhauen, drei Erbsen ins Maul geben und den Kopf auf einen Kreuzweg eingraben. Wenn die Pflanzen einen Spahn lang gewachsen sind, bindet man sie an den Gewehrschaft, dann trifft man unweigerlich. Zur Herstellung von Kanonensalbe mischt man in Aigle das Schmalz eines roten Schweines und Schlangenfett.
 
Häufig legen Schlangenkönige und –königinnen zum Baden ihre Krone ab. Wer ein solches Diadem findet oder rauben kann, wird ungeheuer reich, ist aber aufs äusserste gefährdet. Wenn das Tier nämlich den Verlust bemerkt, wird es wütend, verfolgt und tötet den Dieb. Nur in wenigen Ausnahmen gelingt die Rettung, wenn man das Schmuckstück rechtzeitig wegwirft oder auf eine Eiche klettert, an der ein Heiligenbild befestigt ist.
 
Zahlreiche Westschweizer Sagen berichten von der Vouivre, die Ähnlichkeiten mit dem Schlangenkönig aufweist. Der Name soll sich aus dem Lateinischen „vipera“ und dem Altfranzösischen „guivre“ oder „gouvre“ ableiten. Sie ist nicht leicht fassbar, weil sie in verschiedenen Gestalten auftritt, seltener als Melusine, also als Mischwesen halb Frau – halb Schlange, häufiger als geflügelte Feuerschlange oder Drache. Sie hat nur ein Auge, das sie wie eine Laterne vor dem Kopf trägt und das wie ein heller Stern funkelt, so dass die Vouivre ganz aus Feuer zu sein scheint, wenn sie in der Nacht durch die Lüfte braust. Sternschnuppen und Blitze sind nichts anderes als Vouivres. Das glänzende Auge heisst Karfunkel, wenn es einen Menschen fixiert, verbrennt er. Beim Baden legt die Vouivre ihren Karfunkel  - wie der Schlangenkönig seine Krone - am Ufer nieder. Wer ihn raubt, wird glücklich und unermesslich reich, doch muss man sehr schnell handeln, sonst wird man von der Bestohlenen getötet. Ohne Karfunkel ist die Vouivre blind. Das Walliser Dorf Vouvry soll seinen Namen einer riesigen Vouivre verdanken, die Menschen tötete und in den Weinkellern die Fässer anzapfte – eine Parallele also zu den Milch saugenden Schlangen der Viehzuchtregionen. Ein Rebbauer sann auf Abhilfe, nahm ein Fass und versah es mit Nägeln, deren Spitzen gegen aussen ragten. Als er einmal die Schlange in der Rhone schwimmen sah, schlich er zum Ufer und stahl das Karfunkelauge. Es gelang ihm, sich vor dem heranbrausenden Untier ins präparierte Versteck zu retten. Voll Zorn schlang die Vouivre ihren Körper in Ringen ums Fass und verletzte sich tödlich.
 
Ein merkwürdiges Sagentier ist der Stollen- oder Tatzelwurm, der häufig im Berner Oberland, zum Beispiel 1935 im Haslital, aber auch im Wallis, im Freiburgischen und im Aargauer und Solothurner Jura gesichtet wurde. Es handelt sich um eine dicke, schwarzgraue Schlange oder Echse, die zwei bis drei Fuss, ausnahmsweise aber auch bis zu drei Meter lang ist. Der Stollenwurm hat Spitzohren und kurze Vorderbeine, nach einigen Berichten einen Katzenkopf und Raupenfüsse. Er saugt dem Vieh das Blut aus oder erwürgt es, macht aber den Menschen nichts.
 
Schlangen und Kröten, Tiere also, die wie die Zwerge eine Beziehung zum Erdinnern, zu Höhlen, Felsgrüften und Erdgottheiten haben, sind auch Schatzhüterinnen, wobei sich die Motivkreise „schatzhütendes Tier“ und „verwunschene Jungfrau“ häufig überlappen. Die Sagen gleichen sich: in einer Höhle sitzt eine verwunschene Jungfrau auf einem Schatz, auf ihrem Schoss hockt eine Kröte, eine Schlange, seltener ein Frosch. Der verwegene Jüngling, der die schöne Jungfrau befreien und die Reichtümer gewinnen möchte, muss das Tier küssen, mit einer Rute schlagen oder drei Mal um die Kiste tragen. Dabei schwillt es an, wird immer ekelerregender und bedrohlicher, so dass der Retters entmutigt aufgibt. Im Gegensatz zum Märchen, wo der Froschkönig erlöst wird, misslingen in der Sage die Befreiungstaten.
 
Global gilt die Schlange als phallisches Symbol und wird als Aphrodisiakum eingesetzt. Kröten, die an dunklen, feuchten Orten hausen und eine Unmenge Laich ausstossen, versinnbilden Fruchtbarkeit. Schon in der Antike nahm man an, die Gebärmutter sei ein lebendes Wesen, das einen starken Drang nach Begattung verspürt, und, falls seine Gier nicht gestillt wird, Krankheiten verursacht. In Süddeutschland und im gesamten Alpenbereich ist die Vorstellung verbreitet, dass der Uterus oder ganz allgemein der Genitalbereich der Frau eine Kröte sei, die beissen, kratzen und Schmerzen hervorrufen kann. Frauen brachten daher Krötenvotive als Dank- und Opfergaben in Kirchen und Kapellen, wenn ihnen bei Unterleibserkrankungen, Unfruchtbarkeit oder sexuellen Nöten geholfen wurde. Wenn nun also Schlangen und Kröten im Schoss einer Jungfrau sitzen und geküsst werden müssen, wird der sexuelle Charakter der Aussage verstärkt und verweist wohl auf die Gefahren, die von den Trieben ausgehen.
Auch in der gotischen Kathedralplastik, unter anderem am Basler Münster, treten mahnend zwei Figuren auf, die den ideellen Zusammenhang von Schlangen und Kröten mit dem Bösen, der Sünde, der Wollust betonen: die „schöne Frau Welt“ und der „Fürst der Welt“. Von vorne präsentieren sie sich jung und verführerisch, hinten aber sind sie von Schlangen und Kröten zerfressen. Einerseits ist damit die Vergänglichkeit von Jugend und Schönheit angesprochen, andererseits aber auch die Strafe für Sünde und Ausschweifung. In diesen Umkreis gehören die sogenannten Aas- oder Transigräber, von denen ein eindrückliches Beispiel im Schloss von La Sarraz (VD) zu sehen ist. Die Grabplastik zeigt nicht wie üblich einen Ritter in Rüstung oder höfischer Tracht, sondern einen nackten Leichnam. Kröten machen sich über seinen Genitalbereich her und verbeissen sich in seinem Gesicht, Schlangen kriechen über Arme und Beine. Vordergründig geht es um die einsetzende Verwesung, aber auch um die Vergänglichkeit von Macht und Ehre, um die Strafe für ein sündiges Leben, um den Aufruf zur Busse und zum Gebet für das Seelenheil des Verstorbenen. Der Teufel in der Gestalt der Schlange hat im Paradies Eva verführt, durch die Schlange und die Frau sind nach christlicher Lehre Sünde, Schmerz und Tod in die Welt gekommen. In Höllendarstellungen umwinden Schlangen die Verdammten, Kröten und Echsen hocken auf Brust und Scham der Sünderinnen.
 
Auch Hexen pflegen in Gestalt von Kröten ihr Unwesen zu treiben, vor allem dem Vieh zu schaden und Äcker unfruchtbar zu machen. In den meisten Sagen ist es ein Knecht, der dem Treiben auf die Schliche kommt und auf die Kröte einschlägt, worauf die ungeliebte Meistersfrau tot aufgefunden wird oder hinkt und sich dadurch als Hexe entlarvt.
 
Die Kröte ist nicht nur Schatzhüterin, sondern auch Sinnbild der Habsucht, wie Beispiele aus der religiösen Exempelliteratur und der Sagenwelt belegen. Ein Urner Geizkragen befahl, ihm nach dem Tod sein ganzes Vermögen in den Sarg zu legen. Der Sigrist aber öffnete das Grab, um das Geld zu rauben, doch da sass eine Kröte und stopfte dem Toten die Münzen in den Mund, die er qualvoll hinunterwürgen musste. Oder ein geiziger Sohn weigerte sich, den Sonntagsbraten mit seinem Vater zu teilen, da sprang ihm eine Kröte ins Gesicht und liess sich erst nach langer Zeit durch Segenssprüche entfernen. Die Erfahrungswelt der Menschen, der harte Alltag, geprägt von Hunger, Not und sozialen Spannungen, bildet häufig den realen Hintergrund der Sagen. Auffallend präsent ist das Hungerjahr 1817, als Kinder im Kanton Aargau Kröten sammelten, nicht um sie zu essen, sondern wegen ihrer segensreichen Wirkkraft. Berichtet wird in der Innerschweiz von einem knausrigen Bauer, der einen grossen Vorrat an Kartoffeln besass, die er ihm Frühjahr teuer als Saatgut verkaufen wollte und deshalb den Darbenden nichts gab. Im Frühling aber sass eine dicke Kröte auf dem gehorteten Haufen und alle Knollen waren verfault. Ein anderer reicher Bauer, der den Armen nichts von seinen Vorräten überliess, erhängte sich über seinem Kartoffelhaufen, seither sah man eine Kröte darauf hocken. Neben den Kröten sind auch Frösche und Molche mit der Vorstellung von Geldsegen verbunden, und Echsen werden in Lourtier (VS) dazu verwendet, das Lotterieglück herbeizuzwingen.
 
Hält man einen schwarz und gelb gefleckten Molch in einem Geschirr mit feuchter Erde und gibt ihm fein gefeiltes Kupfer in etwas Milch zu fressen, so werden seine Exkremente feines Gold sein, heisst es in einem Einsiedler Manuskript aus dem 19. Jahrhundert. Die Methoden, leicht zu Reichtum zu gelangen, erinnern an alchemistische Praktiken und misslingen in der Regel, weil Zauberei stets auf einem Pakt mit dem Teufel beruht und deshalb Unglück bringt. In Uri wurden Molche oder Feuersalamander in einem Topf gesotten, weil man glaubte, man könne den Schaum abschöpfen und zu Gold machen, doch die Tiere hoben den Deckel, es war, als hätten sie Hörner, und bedrohten die Menschen.
 
Frösche, seltener Kröten und Molche gelten als eigentliche Geldscheisser, welche die Münzen, die man ihnen unterlegt, über Nacht verdoppeln. Es ist aber sehr wichtig und nicht einfach, den Geldvermehrer rechtzeitig los zu werden, denn wer stirbt, wenn er noch im Besitz des Tieres ist, gehört dem Teufel. Nur wenn ein Argloser uneigennütz einer solchen Kreatur hilft, geht die Geschichte gut aus. Ein armer Bub rettete in den jurassischen Freibergen ein Fröschlein vor den Fängen eines Raubvogels und nahm es nach Hause. Die Mutter akzeptierte nach einigem Zögern den kleinen Gast. Zu ihrem Erstaunen fand sie bald darauf in einer Truhe einen vollen Geldbeutel, der ihrem Sohn ermöglichte, sich in Frankreich ausbilden zu lassen. Als er zurückkam, hüpfte das Fröschlein vor Freude und am anderntags traf die Mitteilung ein, dass ihnen eine grosse Erbschaft zugefallen sei.
 
Die Menschen der vergangenen Jahrhunderte waren Naturkatastrophen, Seuchen und Schädlingen hilflos ausgeliefert, versuchten aber, sich durch magisch-rituelle Handlungen zu schützen und durch Naturbeobachtungen Phänomene zu verstehen und zu deuten. Seit jeher wurde daher aus dem Verhalten der Tiere – auch der Amphibien und Reptilien - auf bevorstehende meteorologische Ereignisse geschlossen. Am bekanntesten ist der Frosch, der die Leiter erklimmt, wenn es schön wird. Von den zahlreichen andern Wetterregeln sei eine kleine Auswahl erwähnt. Im Kanton Thurgau gibt es Regen, wenn die Eidechsen und Frösche „schwitzen“, der Laubfrosch in der Tiefe bleibt, die Frösche in einer klaren Sommernacht nicht lärmen, Kröten über die Strasse springen und viele Blindschleichen beim Heuen sichtbar werden. Im Emmental kommt Hagel, wenn sich im Garten Kröten aufhalten, dagegen ist schönes Wetter angesagt, wenn die Kröten herumlaufen, die Frösche laut quaken und am Vormittag die Bise weht. Jeremias Gotthelf berichtet, dass Frösche vor einsetzendem Hochwasser bergwärts flüchten. Bei Unwettern wälzt sich auf einer Flutwelle eine Riesenschlange durch Reuss und Emme zu Tal, gelenkt von einem Zwerg mit einem Tannenbaum im Arm.
 
**prenez toutes les dents d’un serpent, mettez-en une en la mire, les autres sous le bras droit